Graffiti im Wald: Die geheime Sprache der Förster
Hast du dich auch schon einmal gefragt, was die ganzen farbigen Markierungen im Wald bedeuten? In diesem Blogbeitrag bekommst du einen Einblick in die Zeichensprache der Förster.
Wenn wir an unberührte Natur denken, kommt uns als erstes der Wald in den Sinn. Dabei wissen wir, dass es in Deutschland keinen Urwald mehr gibt. In jedem Waldstück hatte also irgendwann irgendwie der Mensch seine Finger im Spiel. Auf den ersten Blick fällt das dem unbedarften Waldbesucher gar nicht auf. Denn aus Naturschutzgründen bleiben immer öfters abgestorbene Bäume im Wald stehen oder liegen, was den simplen Waldspaziergang – besonders für Kinder – zu einer Urwaldexpedition „light“ werden lässt.
Doch meist dauert es nicht lange, bis der durch die Natur schweifenden Blick an farbigen Markierungen hängen bleibt. Auf Augenhöhe leuchten einem Striche, Kreise, Pfeile oder Zahlen entgegen. Spätestens jetzt ist das Urwaldfeeling dahin. Hier waren keine jugendlichen Graffitisprayer zugange, denen die Fußgängerunterführungen ausgegangen sind. Nein, diese Kennzeichnungen stammen aus Försterhand und sollen in Zeichensprache eine Nachricht übermitteln. Keine Nachricht an den gewöhnlichen Waldbesucher, sondern an Personen, die neben dem Förster sonst noch so im Wald arbeiten. Das sind zum Beispiel Waldarbeiter oder Lohnunternehmer, die mit schwerem Gerät zur Holzernte anrücken. Aber auch Selbstwerber können die Adressaten sein, die anhand der farbigen Kennzeichen ihr zugeteiltes Brennholz-Los finden sollen.
Trotz allem Verständnis für diese pragmatische Maßnahme nimmt die Markierungswut mancherorts etwas überhand. Dieser Eindruck wird durch die neonleuchtenden Farbtöne noch verstärkt, die sich von den gedeckten Naturtönen deutlich abheben – gewollt, sie sollen ja schließlich nicht übersehen werden. Glücklicherweise verschwinden viele der Zeichen in absehbarer Zeit wieder: Nämlich dann, wenn sie zu fällende Bäume markieren und Waldarbeiter den Auftrag vollzogen haben. Das ist aber nicht immer der Fall. Denn häufig wird auch andersherum markiert. Es erhalten also genau die Bäume eine Kennzeichnung, die nicht gefällt werden sollen. Das sind zum Beispiel Biotopbäume, die wertvollen Lebensraum für seltene Tiere und Pilze bieten. Oder sogenannte „Z-Bäume“, also Zukunftsbäume, die von der Säge verschont bleiben sollen, weil sie in späteren Jahren mit ihrem gerade und astfreie Stammholz viel Geld versprechen. Auch zum zweifelsfreien Erkennen von Eigentumsgrenzen werden Bäume markiert, denn das Auffinden von Grenzsteinen gestaltet sich häufig zur Suche nach der Fichtennadel im Waldboden. Für solche dauerhaften Markierungen wird die Spraydose dann gerne mit Farbtopf und Pinsel getauscht.
Eine Sprache mit Dialekten
Interessant ist, dass die geheime Sprache der Förster „regionale Dialekte“ kennt. Die Zeichen sind zwar meist ähnlich, doch hinsichtlich Farbe und gestalterischer Nuancen durchaus unterschiedlich. Ich hätte vermutet, dass es bei den Staatsforsten so etwas wie ein „Handbuch der forstwirtschaftlichen Kennzeichen“, oder so ähnlich, geben müsste. Sonst gibt es doch bei deutschen Behörden auch für alles ein „Pflichtenheft“. Darum habe ich einmal beim Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten nachgefragt. Die Antwort war, dass es seitens des Ministeriums keine verpflichtende Art und Weise der Kennzeichnung gibt. Der persönlichen, künstlerischen Handschrift des Revierförsters ist somit keine Grenze gesetzt, solange die Verständigung funktioniert.
Holzeinschlag
Welche Bäume im Wald gefällt werden, entscheidet der Förster. Außer natürlich im Privatwald, da entscheidet das der Waldeigentümer. Die Tätigkeit des Markierens der zu fällenden Bäume bezeichnet der Revierleiter als „Auszeichnen“. Auch hier gibt es die verschiedensten Varianten: Oft sind es zwei Punkte – auf jeder Seite des Baumstamms einer, damit sie nicht übersehen werden. Alternativ kann es aber auch ein kurzer Querstrich sein oder ein nach unten geneigter Strich.
Während meines eigenen Forstpraktikums Anfang der 1990er-Jahre, wurde mit dem Beil an der rechten und linken Seite des Stammes ein Stück Rinde abgeschlagen, so dass die Stelle hell leuchtete.
Rückegassen
Werden Bäume im Wald gefällt, müssen die Stämme irgendwie zu den befestigten Forststraßen gezogen werden – sie werden „gerückt“, wie der Forstwirt sagt. Damit dies nicht „irgendwie“, also kreuz und quer, geschieht, werden im rechten Winkel zum Forstweg sogenannte Rückegassen angelegt. Der gefällte Baumstamm wird dann auf dem kürzesten Weg zunächst zu dieser Gasse gezogen. Auf der Rückegasse geht es dann weiter bis zur Forststraße. Dort werden die Stämme zu einem Polter aufeinander gestapelt und später von einem LKW abgeholt.
Durch das Definieren von Rückegassen soll der restliche Waldbereich vor Beschädigung und Bodenverdichtung durch die schweren Erntemaschinen verschont bleiben. Der Förster ist bestrebt, bereits vorhandene Rückegassen zu nutzen, denn die Bodenverdichtung ist eine dauerhafte und schwerwiegende Beschädigung des Waldbodens.
Gibt es jedoch noch keinen solchen Fahrweg, markiert der Förster die freizuräumende Schneise, bevor mit den Holzfällarbeiten begonnen wird. Dazu kennzeichnet er die Baumstämme an der linken und rechten Seite der zukünftigen Rückegasse mit jeweils schräg nach unten zeigenden Strichen, wobei die Strichrichtung in Richtung Gasse zeigt. Alternativ sieht man auch öfters zwei horizontale Striche. Manchmal sprüht der Förster bei den ersten Bäumen noch ein „R“ dazu oder gibt der Gasse eine Nummer. Die Farbe spielt wie bei den meisten Markierungen keine Rolle. Der Forst nimmt, was er günstig bekommt.
Liegendes Holz
Liegen die Stämme an der Forststraße zur Abholung bereit, markiert der Förster den Polter mit den Anfangsbuchstaben des Käufers, damit es nicht zu „Missverständnissen“ bei der Abholung kommt. Außerdem hat es sich bewährt, quer über die obersten Stämme des Polters eine Linie zu ziehen. Würde sich nun ein Langfinger am Langholz bedienen, fiele das aufgrund der unterbrochenen Linie sofort auf.
Wertholz wird dagegen einzelstammweise verkauft, meist im Zuge einer Submission, also einer Versteigerung. Dafür werden die Preziosen einzeln nebeneinander aufgereiht. Weil hier ein einziger Stamm kosten kann, was sonst ein ganzer Polter kostet, wird größerer Augenmerk auf eine genaue Beschriftung gelegt. So wird auf der Stirnseite jedes Stammes preisrelevante Daten wie Durchmesser, Länge, Festmeter oder Qualität vermerkt. Außerdem wird ein Plastikchip mit der individuellen Baumnummer eingeschlagen. Auf diese Weise kann sich der Kaufinteressent einfach diese Nummer notieren und so präzise den oder die Stämme benennen, für die er bieten möchte.
Zukunftsbäume
Als Zukunftsbäume, kurz „Z-Bäume“, werden sogenannte Baumindividuen bezeichnet, die auf keinen Fall gefällt werden sollen. Diese zeichnen sich meist durch einen kräftigen, geraden Wuchs und ein möglichst langes, astfreies unteres Stammteil aus. Denn dieses ist beim Holzverkauf das wertvollste Stück des Baumes. Außerdem möchte der Förster gerne, dass dieser Phänotyp seine Samen weiterverbreitet. Um die Z-Bäume bindet der Förster ein farbiges Plastikband oder umkringelt den Stamm mit dem Farbpinsel als Zeichen für „Finger weg“!
Seltene Baumarten
Manchmal stehen im Wald Baumarten, mit denen der Waldarbeiter gar nicht rechnet. Dazu kommt, dass manche dieser Baumarten – besonders ohne Blätter im Winter – leicht mit anderen Baumarten verwechselt werden können. Ein Beispiel ist die seltene Elsbeere, die mit ihrer groben Rinde anderen Baumarten ähnlich sieht.
Gerade die Elsbeere soll jedoch in Zeiten des Klimawandels stark gefördert werden. Sie ist nämlich sehr wärme- und trockenheitsverträglich und für das Holz – wäre hätte es vermutet – wird von den Sägewerken ein besonders hoher Preis bezahlt. Diese Stämme markiert der Förster mit einem farbigen Kreis und einem Punkt in dessen Mitte.
Biotopbäume
Früher wurden kranke oder absterbende Bäume möglichst schnell gefällt, um Forstschädlingen keinen Nährboden zu geben und um noch ein paar D-Mark fürs Holz zu bekommen. Schon längst hat man jedoch den Wert von Totholz erkannt. Unzählige seltene Tiere und Pilze haben dort ihren Lebensraum. Dass ein Baum nicht nur als Holzlieferant einen Wert hat, ist heute allen Waldverantwortlichen bekannt.
Solche Bäume, die Brut- und Lebensraum für Vögel, Fledermäuse, Bilche und Käfer bieten, werden als Biotopbäume bezeichnet. Aber diese Vertreter stehen nicht von heute auf morgen im Wald. Der Prozess von einem vitalen Baum zu einem Biotopbaum ist ein sehr langsamer. Ist ein Baum von Spechtlöchern durchsiebt wie ein Schweizer Käse erkennt vermutlich jeder solch ein Exemplar. Doch das ist bereits ein spätes Stadium. Die Kunst ist es, in einem noch frühen Stadium zu erkennen, dass ein Baum das Potential zur einem wertvollen Biotopbaum hat. Denn letztlich ist es eine Abwägung zwischen Holzerlös und Naturschutz.
Potenzial besitzt zum Beispiel ein alter Baum, der einen dicken, morschen Ast hat. Dieser fault irgendwann heraus und es bildet sich dann eine der besonders wertvollen Mulmhöhlen, auf die so seltene Käfer wie der Eremit angewiesen sind. Aussichten haben auch Zwiesel, bei denen einer der beiden Stämme durch Sturm oder Blitz abgerissen ist. Weil hier ständig Wasser von oben eindringt, faulen diese Stämme besonders schnell und werden schon bald Höhlen ausbilden. Erkennt der Förster einen solchen Kandidaten, markiert er ihn mit einer umlaufenden Wellenlinie. Manchmal ergänzt er die Welle noch mit den Buchstaben „BB“ (Biotopbaum). Die kreativeren Förster sprayen auch einen Specht auf den Baum!
Ein Konzept des angewandten Naturschutzes ist das sogenannte „Trittsteinkonzept“, wie es im Naturpark Steigerwald praktiziert wird. Hierbei werden über den gesamten Naturpark verteilt kleinere Flächen, die sich durch ihr hohes Alter und die damit verbundene Habitatstruktur auszeichnen, aus der Nutzung genommen. Sie sind Bindeglieder (Trittsteine) zwischen Naturwaldreservaten, bilden Rückzuggebiete für Organismen, die im Wirtschaftswald keine geeigneten Lebensräume mehr finden und ermöglichen vielen Arten eine erfolgreiche Reproduktion. Dieser Bereich wird mit einem „Doppel-T“ markiert.
Einzelne, besonders alte Bäume werden mit einem geschwungenen „M“ gekennzeichnet. Dieser Buchstabe steht für „Methusalem“, wie alte Bäume ab einem Durchmesser von etwa 100 Zentimetern bezeichnet werden. Wurde ein Baum in den erlauchten Kreis der Baumgreise aufgenommen, darf er seinen Lebensabend in aller Ruhe im Wald verbringen und dient vielen Arten als Lebensraum.
Grenzen
Eigentumsgrenzen werden in Wald und Flur seit jeher durch Grenzsteine gekennzeichnet. Leider sind diese gerade im Wald oft schwer zu erkennen. Oft schaut – wenn überhaupt – wie bei einem Eisberg nur noch der Scheitel aus dem Laub heraus.
Um hier nicht jedes mal von neuem suchen zu müssen, weisen zwei oder drei Parallelstriche (oder Ringe) auf die Grenze zum Nachbarn hin. Diese deutliche Markierung verringert die Gefahr, dass ortsunkundige Dienstleister ungewollt beim Nachbarn zu Holze gehen oder auf einer Drückjagd die Reviergrenzen überjagt werden.
Hochsitze
Apropos Drückjagd. Im Herbst findet in den meisten Waldrevieren diese Form der Bewegungsjagd statt. Dabei wird eine mehr oder weniger große Anzahl an Jägern auf Hochsitzen im Wald verteilt. Dann gehen Treiber durch den Wald und „rühren das Wild an“. Darunter versteht man, dass sie Rehe, Wildschweine und Co. aus ihren Einständen herausdrücken und möglichst langsam in Bewegung setzen. Das Ziel ist, dass die Wildtiere den Schützen relativ vertraut (langsam) vor die Büchse laufen, so dass die Jäger einen gezielten Schuss anbringen können.
Bevor die Jagd beginnt, wird den Schützen ihr Hochsitz zugeteilt, sie werden „angestellt“. Entweder bringt sie der „Ansteller“ bis zum Hochsitz, oder, was aus Zeitgründen häufiger der Fall ist, beschreibt ihnen den Weg zum Sitz von der Forststraße aus. Um sicherzugehen, dass sich die meist ortsunkundigen Jagdgäste nicht verlaufen, ist der Weg zum Stand mit Richtungspfeilen und der betreffenden Standnummer deutlich markiert.
Hat der Jäger dank der guten „Beschilderung“ dann seinen Hochsitz bezogen, kann es sein, dass er an ein oder zwei Bäumen ein Ausrufezeichen entdeckt. Diese Markierung kennzeichnet den Bereich, in den er nicht schießen darf – zum Beispiel, weil sich dort der Standnachbar befindet oder Spaziergänger gefährdet werden könnten.
Wanderwege
In die ganze Graffiti-Vielfalt der Forstmarkierungen mischt sich noch die Kennzeichnung der Wanderwege, die nun endlich für den Waldbesucher gedacht sind. Mit diesen Zeichen hat der Förster nun wirklich nichts am Hut – sie werden in der Regel von Wandervereinen angebracht und instand gehalten. Wenn du diesen Markierungen folgst, bist du zumindest schonmal nicht auf dem Holzweg.
4 Kommentare
Danke für diesen Beitrag zu Forstmarkierfarben. Gut zu wissen, dass man in seinem Waldstück nicht rot als Farbe nutzen darf, da dies die Farbe des Försters ist. Mein Onkel arbeitet auch in einem Unternehmen für Forsttechnik, ich werde ihn mal weiter zum Thema Bäume befragen.
Mein Onkel interessiert sich sehr für den Holzhandel. Da ist es gut zu wissen, dass Wertholz in der Regel einzelstammweise verkauft wird. Ich hoffe, dass er einen passenden Anbieter finden wird.
Das ist wirklich hochinteressant. Man sieht immer nur das Gekritzel, konnte es aber nie richtig einordnen. Durch diese prima Beschreibung ist der Einblick der Förster und des Waldes verständnisvoll geworden. Ganz herzlichen Dank!
Vielen Dank, es freut mich, wenn ich die Zeichen ein bisschen erklären konnte.