Keine Kälberwaisen: Rotwild waidgerecht bejagen
Jedes Jahr aufs Neue muss der Zuwachs in Rotwildpopulationen reguliert werden, um übermäßige Wildschäden zu verhindern. Dazu gehört auch die Erlegung von Kälbern und Alttieren. Für eine Bestandsregulierung sind, so Dr. Andreas Kinser von der Deutschen Wildtier Stiftung, Alttieranteile an der jährlichen Gesamtstrecke von mindestens 20 % notwendig.
Nun ist es beim Rotwild aber so, dass zwischen Alttier und Kalb über ein ganzes Jahr hinweg eine sehr enge Mutter-Kind-Beziehung besteht. Das ist länger als bei jeder anderen Schalenwildart. Deshalb muss das Kalb immer vor dem Alttier erlegt werden. Wird versehentlich das Muttertier erlegt, sind die Folgen für das Kalb dramatisch:
Das Kalb verliert seine bisherige Stellung im Rudel und wird aus dem Familienverband ausgeschlossen. Dadurch finden verwaiste Kälber weniger Witterungsschutz und energiereiche Äsung. Selbst wenn sie ihren ersten Winter überleben, bleiben diese Tiere zeitlebens hinter der körperlichen Entwicklung ihrer Generationsgenossen zurück.
Aufgrund der engen Mutter-Kind-Bindung sind die Folgen für das Kalb nicht nur physischer Natur, sondern sie leiden auch psychisch. Aus diesen Gründen ist die Erlegung eines führenden Alttieres sowohl nach dem Bundesjagdgesetz als auch nach dem Tierschutzgesetz als Straftat eingestuft.
Neue Erkenntnisse überraschen mit Tierschutzproblem
Besonders effektiv erfolgt die Bejagung von Kälbern und Alttieren auf Drückjagden. Die gängige Praxis ist, dass Alttiere als direkte Dublette nach dem Kalb erlegt werden dürfen – oder wenn das Alttier einzeln anwechselt. Bei Letzterem ging man bisher davon aus, dass das zugehörige Kalb bereits erlegt wurde.
Die Freigabe von Alttieren auf Bewegungsjagden erfolgt häufig nach folgender Formulierung: „Der Alttierabschuss ist möglich, wenn das zugehörige Kalb zuvor selbst oder erkennbar vom Standnachbarn erlegt wurde. Einzeln anwechselnde Alttiere können erlegt werden, sofern der Jagdverlauf bzw. die Standsituation es zulassen und ihr Verhalten darauf schließen lässt, dass sie nicht oder nicht mehr führen.“ (Wald und Wild-Konzept, HessenForst, 2018; Verantwortungsvolle Bewirtschaftung des Rotwildes in Rheinland-Pfalz, MULEWF & LJV RLP, 2015) Diese Freigabeformulierung beruht auf der Annahme des engen Schulterschlusses von Alttier und Kalb, der auch bei größerem Jagddruck, zum Beispiel beim Einsatz von Stöberhunden, gegeben sei.
Nun hat eine aktuelle Untersuchung des Diplom-Biologen Olaf Simon jedoch gezeigt, dass dem nicht so ist: Es kann im Verlauf einer Jagd sehr wohl zur Trennung von Alttier und Kalb kommen, sodass ein vermeintlich nicht-führendes Tier den Schützen alleine anwechselt. In einer solchen Situation birgt der Abschuss einzeln ziehender Alttiere auf Bewegungsjagden die Gefahr, ein führendes Alttier ohne sein Kalb zu erlegen.
Wir hoch ist die Wahrscheinlichkeit, ein führendes Alttier auf der Drückjagd zu erlegen?
Um zu ermitteln, wie groß das Risiko von Verstößen gegen den Muttertierschutz auf Bewegungsjagden ist, hat die Deutsche Wildtier Stiftung eine Pilotstudie beim Institut für Tierökologie und Naturbildung in Auftrag gegeben. Dabei wurden 73 Alttiere und 148 Kälber, die auf insgesamt 15 Bewegungsjagden erlegt wurden, genetisch beprobt sowie der Gesäugestatus der erlegten Alttiere erfasst.
Von den Alttieren wurden 18 in einer direkten und verwandtschaftlich tatsächlich zusammengehörigen Dublette erlegt. Da Alttier-Abschüsse aus Rudeln, wie in der guten fachlichen Praxis üblich, durch die jeweiligen Jagdleiter untersagt waren, müssen die restlichen 55 erlegten Alttiere die Schützen einzeln angewechselt haben. Die genetischen Analysen ergaben, dass davon 14 trocken waren, von 21 Alttieren das Kalb im Verlauf der Jagd an anderer Stelle erlegt wurde und von 20 laktierenden Alttieren kein Kalb im Verlauf der Jagd erlegt wurde. Mindestens 20 Kälber müssen demnach am Tag der Jagd verwaist sein.
Fortsetzung der Untersuchung
Noch ist der Stichprobenumfang gering: Die Ergebnisse des Pilotprojektes basieren auf der Auswertung von nur 15 Jagden. Um den Stichprobenumfang zu erweitern, ist nun die Auswertung weiterer 20 Bewegungsjagden mit insgesamt 380 Proben geplant. Die Ergebnisse weisen jedoch bereits jetzt auf ein vergleichsweise hohes Risiko von Kälberwaisen hin. Dies gilt umso mehr, wenn vor der Jagd nur wenige Kälber erlegt wurden.
Was ist die Konsequenz?
Um dem biologisch notwendigen Muttertierschutz beim Rotwild gerecht zu werden, empfiehlt die Deutsche Wildtier Stiftung daher auf die Freigabe einzeln anwechselnder Alttiere auf Bewegungsjagden im Oktober und November zu verzichten. Stattdessen solle eine effiziente Spätsommerjagd auf Kahlwild mit erfahrenen Jägern erfolgen, um durch direkte Kalb-Alttier-Dubletten noch vor der Brunft Alttiere tierschutzgerecht zu erlegen.
Um den vereinbarten Alttier-Abschussplan zu erfüllen, könne bei einer inzwischen hohen Kälberstrecke vor Ende der empfohlenen Jagdzeit im Dezember bei Gruppenansitzen oder bei Anrührjagden ohne Hunde mit erfahrenen und verantwortungsbewussten Jägern auch einzeln anwechselnde Alttiere erlegt werden.
1 Kommentar
Gruezi ..ich unterschreibe ihr bemuhen zu 100% sie sehen das richtig…das selbe haben wir in den hochalpen ..zb graubunden wallis nord tirol (vorarlberg)…hier keine rotwildgebiete vorarlberg schon….aber durch zersiedelung massentourismus betonierungswahn(nord tirol) sreassen ausbau zu lange jagdzeiten=jagddruck(osterreich) etc wird es dem rotwild fast unmoglich gemacht zu wandern..
In wintersportgebieten inselartig um futterungen uberleben..das bringt stress krankheiten verbiss
Uberhaupt westosterreich ist im volligen betonwahn das startete so um 1990 …das rotwild wild alpwirtschaft ist eher ubrig geworden im betonland tirol…ich bin von gerafe hinter der CH/AUT grenze…und beobachte dies mit tiefer trauer.
Mfg:Auer