Moos im Wald: mehr als ein Weichteil
Besonders im Nadelwald stechen die schönen grünen Moospolster sofort ins Auge. Sie lieben das saure Bodenmilieu der Nadelstreu und überziehen oft den gesamten Waldboden. Mit ihrem Vorhandensein entscheiden sie darüber, ob ein Fichtenwald aussieht wie eine Holzplantage oder wie ein nordischer Märchenwald, in dem gleich Ronja Räubertochter hinterm flechtigen Felsen hervorspringt.
Wasserspeicher für ein feuchtes Waldklima
In Laubwäldern sieht man meist nur vereinzelte Moospolster, weil sie durch das ganze abgefallene Laub in ihrem Wuchs gehemmt werden. Emporstehende, morsche Wurzelstöcke sind den kleinen Moospflänzchen deshalb sehr willkommen und sie überziehen den Holzstumpf wie einen hellgrünen Fingerhut. Dieser weich gepolsterte Stuhl lädt förmlich dazu ein, sich daraufzusetzen. Wer das allerdings nach einem Regenschauer macht, bekommt nicht nur eine nasse Hose, sondern direkt einen feuchten Hintern – wie von einem ausgedrückten Schwamm.
Und genauso funktioniert ein Moospolster: Weil sie keine richtigen Wurzeln besitzen, nehmen die vielen Einzelpflänzchen über ihre Stiele und kleinen Blättchen das überlebenswichtige Wasser auf. Sie saugen sich buchstäblich voll wie ein Schwamm. Und weil man ja nie weiß, wann es das nächste Mal regnet, versuchen sie, möglichst viel davon zu speichern. Für beide Seiten also blöd, wenn sich jemand mit seiner trockenen Hose draufsetzt.
Moose können zwar viel Wasser speichern, aber nicht allzu lange. Denn Moose haben im Gegensatz zu vielen anderen Pflanzen keine Wachsschicht auf ihren Blättchen, die vor Verdunstung schützt. Moose können ihren Wasserhaushalt also kaum regeln: Ist die Luft trocken, werden nach und nach große Mengen an Wasserdampf an die Umgebung abgegeben. Auf diese Weise leisten die unscheinbaren Pflänzchen einen wichtigen Beitrag für das angenehm kühle und feuchte Waldklima.
Daune des armen Mannes
Auf trockenem Moos liegt man dagegen herrlich weich. Besonders das einfache Volk hatte in früheren Zeiten sein Haupt auf Moos gebettet, denn es stopfte das getrocknete Grünzeug in sein Kopfkissen. Es ist sozusagen die Daune des armen Mannes. Nicht, weil er sich davon besonders angenehme Träume erhoffte, sondern weil er sich die Federfüllung der adeligen Bettwäsche schlichtweg nicht leisten konnte. Der Plebs griff kurzerhand zu dem am häufigsten vorkommenden Waldmoos, das dadurch seinen Namen bekam: das Zypressen-Schlafmoos.
Leider sind die meisten anderen heimischen Moosarten nicht so griffig in der Bezeichnung. Eine Ausnahme ist noch das Wellenblättrige Katharinenmoos, das vom deutschen Apotheker und Botaniker Jakob Friedrich Ehrhart 1780 nach der russischen Zarin Katharina der Großen benannt wurde. Die gewellten Moosblättchen sollen ihn an die Haarpracht der Zarin erinnert haben.
Die ältesten Landpflanzen
Weltweit gibt es rund 16.000 Moosarten. Sie haben sich vermutlich aus Grünalgen der Gezeitenzone entwickelt und gelten als die ältesten Landpflanzen. Belegt ist das jedoch nicht, denn es fehlt an Fossilien, die den Übergang von Wasser- zu Landpflanzen belegen.
So alt wie sie sind, so einfach sind Moose auch aufgebaut. Ihnen fehlen zum Beispiel echte Wurzeln. Die Rhizome dienen nicht zur Wasseraufnahme, sondern lediglich zum Festhalten, damit der Wind das Moospflänzchen nicht fortträgt. Sie bilden auch keine Samen und Früchte, wie Blütenpflanzen das tun, sondern vermehren sich über Sporen – so wie die Farne.
Moos als Überlebenskünstler
Man verbindet Moos eigentlich immer mit Wasser und Feuchtigkeit. Das täuscht aber, denn Moose wachsen auch an den unwirtlichsten und trockensten Orten wie Berggipfeln und sogar Wüsten. Sie können Trockenperioden von mehreren Monaten überstehen, indem sie ihren Stoffwechsel herunterfahren. Höher entwickelte und komplizierter aufgebaute Pflanzen würden unter diesen Bedingungen schon lange absterben. Sobald es regnet, erwacht das Moos wieder zu neuem Leben. Es ist wie bei den Autos: wenig Technik, wenig Probleme.
Sargfüllung und Toilettenpapier
Neben der oben erwähnten Kopfkissenfüllung gab und gibt es aber noch viele weitere Einsatzzwecke von Moos: So verwendeten Eskimos und Japaner Moose als Sargfüllung. Bei Blockhäusern wurden vielfach die Ritzen mit Moosen abgedichtet, wie auch bei mittelalterlichen Booten. Trockenes Moos wurde als Verpackungsmaterial beim Versand zerbrechlicher Gegenstände verwendet, feuchtes Moos beim Versand von Gartenpflanzen. Als Dekoration sind Moose beliebt in der Floristik und im Modellbau, aber auch in Weihnachtskrippen und Osternestern dürfen sie nicht fehlen.
Neben der hohen Wasseraufnahmefähigkeit besitzen Moose eine antimikrobielle Wirkung: Aufgrund dieser beiden Eigenschaften dienten Torfmoose bis in den Ersten Weltkrieg als Wundkompressen. Naturvölker stellten aus Moosen Babywindeln her und in Mitteleuropa wurden Moose im Mittelalter als Toilettenpapier verwendet.
Heilmittel und Pilztöter
Manche Indianer Nordamerikas bereiteten aus Moosen Wundsalben zu. In der traditionellen Chinesischen Medizin werden rund 40 Moosarten verwendet, etwa gegen Ekzeme, Angina, Bronchitis und Verbrennungen. Das Brunnenlebermoos haben unsere Vorfahren dazu genutzt, um Lebererkrankungen zu heilen. Weil die Form der Pflanze einer Tierleber ähnelt, glaubten sie an einen Zusammenhang. Heute weiß man, dass Lebermoose Pilze abtöten, also stark fungizid wirken. Mediziner setzen sie daher zur Behandlung von Haut- und Nagelpilzen ein. Die Präparate sollen sogar wirksamer sein als kommerzielle Fungizide.
Moos bleibt gerne unter seinesgleichen
Auf der Erde gibt es zwei Lebensräume, in denen Moose dominieren: die arktische und antarktische Tundra sowie die nährstoffarmen Moore. Das Besondere daran ist, dass sich die Torfmoose ihren Standort selbst aufbauen. Während sie an der Spitze immer weiterwachsen, werden die tieferliegenden, abgestorbenen Teile verdichtet und bilden so unter Luftabschluss den Torf.
Was wir als Torf kennen, besteht also größtenteils aus abgestorbenen Moospflanzen. Und weil sie gerne unter ihresgleichen sind, machen die lebenden Torfmoose mittels Ionenaustauch den Standort derart sauer, dass fast alle Konkurrenten freiwillig fernbleiben. Durch die Bindung von Kohlenstoff kommt Hochmooren als Kohlenstoffsenke zudem eine wichtige Rolle im Klimaschutz zu.
Schlechte Luft sieht man ihm an
Man sagt, wo Flechten wachsen, ist die Luft sauber. Wie die Flechten, sind auch Moose gute Bioindikatoren, denn sie reagieren sehr empfindlich auf Umweltveränderungen. Weil Moose Wasser und Nährstoffe nicht über Wurzeln, sondern direkt über ihre Oberfläche aufnehmen, sind sie der direkten Wirkung von Schadstoffen ausgesetzt. Ihr kurzer Lebenszykus führt zu raschen Reaktionen, die mit bloßem Auge erkennbar sind. Trotzdem werden Moose bis jetzt nur in Europa, Kanada, Japan und Neuseeland als Bioindikatoren verwendet.
Ganz schön was los im Moos
Obwohl die Moosschicht unserer Wälder nur wenige Zentimeter hoch ist, spielt sie eine entscheidende Rolle im „Ökosystem Wald“. Neben ihrer Funktion für den Wasserhaushalt bieten Moose den Lebensraum für unzählige Kleinstlebewesen. Dazu gehören viele verschiedene Insekten, Spinnen und Reptilien. Auch Asseln, Schnecken und Regenwürmer sind hier zuhause. Sie schätzen die dort herrschende Luftfeuchtigkeit, die sie vor dem Austrocknen schützt.
Und auch unter Hunger muss hier keiner leiden: Es gibt ständig Nachschub an organischem Abfall und jeden Herbst von oben eine ordentliche Ladung Blätter, zumindest im Laubwald. Die hungrige Destruenten-Armee schreddert das alles einmal durch und speist am Ende wieder wertvollen Humus für das Pflanzenwachstum in den Kreislauf ein. Ohne diese Moos-Lebewesen wüsste der Wald schon bald nicht mehr, wohin mit seinem „Biomüll“. Aber nicht nur für die ganz Kleinen hat das Moos eine große Bedeutung. Auch Mäuse und Igel fühlen sich hier pudelwohl. Dieser Ort bietet ihnen Nahrung und Unterschlupf.
Die kleine Wunderwelt
Betrachtet man Moos einmal von ganz nah, sieht es aus wie ein Miniaturwald. Jedes Moospflänzchen könnte ein Baum sein. Ein Zwergenwald im großen Wald. Eindrucksvoller als Siegfried von Vegesack (1888–1974) kann man es meiner Meinung nach nicht beschreiben:
Moos
Hast du schon jemals Moos gesehen?
Nicht bloß so im Vorübergehen,
so nebenbei, von oben her,
so ungefähr –
nein, dicht vor Augen, hingekniet,
wie man sich eine Schrift besieht?
Oh Wunderschrift! Oh Zauberzeichen!
Da wächst ein Urwald ohnegleichen
und wuchert wild und wunderbar
im Tannendunkel, Jahr für Jahr,
mit krausen Fransen, spitzen Hütchen,
mit silbernen Trompetentütchen,
mit wirren Zweigen, krummen Stöckchen,
mit Sammethärchen, Blütenglöckchen,
und wächst so klein und ungesehen –
ein Hümpel Moos.
Und riesengroß
die Bäume stehen.
Doch manchmal kommt es wohl auch vor,
dass sich ein Reh hierher verlor,
sich unter diese Zweige bückt,
ins Moos die spitzen Füße drückt
und dass ein Has, vom Fuchs gehetzt,
dies Moos mit seinem Blute netzt …
Und schnaufend kriecht vielleicht hier auch
ein sammetweicher Igelbauch,
indes der Ameis’ Karawanen
sich unentwegt durchs Dickicht bahnen.
Ein Wiesel pfeift, ein Sprung und Stoß …
und kalt und groß
gleitet die Schlange durchs Moos …
Wer weiß, was alles hier geschieht,
was nur das Moos im Dunkeln sieht:
Kein Wort verrät das Moos.
Und riesengroß die Bäume stehen.
Hast du schon jemals Moos gesehen?
10 Kommentare
Seit dem trockenen Sommer des letzten Jahres stellen wir fest, dass der Waldboden in den Wäldern hier an der Seenplatte immer stärker von Moosen der verschiedensten Arten bedeckt ist. Besonders im Tannen- bzw. Kiefernwald ist es uns aufgefallen. Da, wo sonst hohe Gräser wuchsen wächst jetzt Moos. Der Waldboden ist ein einziger grüner Teppich. Es sieht wunderbar aus. Jetzt meine Frage: Wieso wächst nach dem letzten trockenen Sommer so viel Moos? Kann es sein, dass sich damit der Klimawandel im Wald bemerkbar macht und der Waldboden damit Vorsorge trifft?
Diese Frage beschäftigt uns schon einige Monate, vielleicht können Sie uns eine Antwort darauf geben.
Übrigens ist Ihre Abhandlung über das Moos sehr aufschlussreich. Danke dafür.
Toller Artikel ! Schöne Fotos und sehr schön geschrieben, auch für Schulkinder 🙂
Vielen Dank dafür !
Vielen Dank für Ihre wohlwollenden Worte, das freut mich sehr!
Grüner Waldboden zeigt, dass die Baumkronen nicht alles Licht selber nutzen. Im Klimawandel treten nach längeren Dürreperioden, wie z.B. den Jahren 2018, -19, -20, -22 in vielen Gegenden erhöhte Absterberaten bis hin zu flächigem Ausfall ganzer Bestände auf. (Rhein-Main-Ebene). Meist erwischt es standortfremde Nadelbaumbestände, aber auch forstlich aufgelichtete („heißgeschlagene“) Laubbaumbestände zeigen durch das Eindringen von Hitze und Trockenheit erhöhte Morbidität und Mortalität. Das Licht, dass durch das beschädigte Kronendach fällt, ernährt darunterliegende Vegetationsschichten. Natürlicherweise würde der Nachwuchs der Bäume die Lücken füllen. Da aber die Schalenwildbestände (Reh, Hirsch und Co.) in Mitteleuropa durch bodennahe Vegetation der Landwirtschaft, breite vergraste Schneisen, dem Fehlen von Prädatoren und der Ineffektivität der Jagd sehr hoch sind, fressen diese den Großteil des heimischen Baumnachwuchses. Übrig bleiben Gras, Brombeeren, giftige, dornige, und schnell ausbreitende Pflanzen- und Moos-.
Das goldene Frauenhaarmoos ist mir schon als Jugendlicher oft aufgefallen im
Fichtenwald. Es sieht von oben aus als würde man mit dem Flugzeug über Palmeninseln fliegen (war mein erster Eindruck). Zudem leuchtet dies Moos grün auf wenn die Sonne durch die Zweige fällt. Vielen Dank für die biologischen Informationen über seinen Beitrag zum feuchten Waldklima und als Biotop.
Sehr schöner Artikel über Moose – danke 🙂
Vielen Dank, Claudia.
Danke für den tollen Artikel er hat mir sehr bei meinem Referat über Das Thema Moos geholfen!!!!!
Sehr gerne, das freut mich!
Ein sehr interessanter und gut geschriebener Artikel – ich habe viel gelernt. Und das Gedicht am Ende ist zauberhaft. Ich habe kürzlich im Wald ein weißes Moos entdeckt, aber vielleicht ist es auch eine Flechte. Wobei es schon sehr „hoch“ ist, wie Moos eben. Vermutlich ist es isländisches Moos – und das in Hessen! 😉