Wildkatze ist Tier des Jahres
Hast du gewusst, dass Wildkatzen die einzigen Katzen sind, die als absolut unzähmbar gelten? Selbst in Gefangenschaft geborene Tiere lassen sich niemals freiwillig vom Menschen berühren. Jeder Versuch wird mit scharfen Krallen und spitzen Zähnen beantwortet.
Das Bild der Unzähmbarkeit harmoniert hervorragend mit der äußeren Erscheinung „unserer“ europäischen Wildkatze (Felis silvestris silverstris): Mit 18 einziehbaren, langen Krallen und ihrem sehr kräftigen Raubtiergebiss ist sie für ein Tier ihrer Größe extrem wehrhaft. Sie ist körperlich stark, aber dennoch sehr beweglich. Ihr Geruchssinn ist sogar dem des Hundes überlegen. Der buschige Schwanz mit den schwarzen Ringen, der dicke Kopf und die verwaschene Zeichnung mit dem typischen schwarzen Aalstrich auf dem Rücken runden das Bild ab.
Scheu und selten
Der Mythos Wildkatze hält sich besonders hartnäckig, weil man nie eine zu Gesicht bekommt. Zum einen, weil sie besonders scheu ist, zum anderen weil sie mit nur 5.000–10.000 Exemplaren zu den seltenen Säugetieren Deutschlands gehört. Sollte man doch einmal das Glück haben, einer zu begegnen, könnte es sein, dass man sie mit einer getigerten Hauskatze verwechselt. Dabei leben die „Waldkatzen“, wie sie auch genannt werden, ausschließlich in großen, geschlossenen Waldgebieten, wohin sich bestimmt keine Hauskatze verirrt – zu weit wären Whiskas-Döschen und weiches Sofakissen entfernt. Hier hat die Wildkatze das Hausrecht – denn sie durchstreifte diese Wälder, lange bevor die Römer unsere spätere Hauskatze über die Alpen nach Europa brachten.
Liebesabenteuer mit der Hauskatze
Irgendwo Richtung Waldrand kann es aber doch einmal passieren, dass das zahme Hauskätzchen eine Romanze mit dem wilden Kuder eingeht. Aus der flüchtigen Beziehung entspringen dann Blendlinge – das sind fortpflanzungsfähige Hybride aus Haus- und Wildkatze, die aufgrund der Vermischung des Genmaterials unerwünscht sind. Zum Glück passiert das recht selten – bei nur 4 % der untersuchten Wildkatzen konnte laut einer Studie des Senckenberg-Instituts Hauskatzen-DNA festgestellt werden.
Der Wald wird nie verlassen
Die Ernährung der Wildkatze besteht zu 90 % aus Mäusen, den Rest machen Eidechsen, Frösche, Eichhörnchen oder Insekten aus. Deshalb lieben Wildkatzen abwechslungsreiche Waldstrukturen mit Windbrüchen, Lichtungen und Waldinnsensäumen, wo sich die kleinen Nager tummeln. Den Schutz des Waldes verlassen Wildkatzen fast nie, deshalb ist die Vernetzung der Populationen nicht ganz so einfach. Umso erstaunlicher ist es, dass Senckenberg-Wissenschaftler in einer groß angelegten Studie festgestellt haben, dass Wildkatzen in Deutschland weiter verbreitet sind, als bisher vermutet. Das Forscherteam wertete über 6000 DNA-Proben der scheuen Wildtiere aus und zeigte in einer im Fachjournal „Conservation Genetics“ erschienenen Studie, dass die Katzen in weiten Teilen der waldreichen Mittelgebirgsregion Deutschlands nahezu flächendeckend vorkommen.
Baldrian als Lockmittel
Aber wie haben das die Wissenschaftler nachgewiesen, wo doch freilebende Tiere den Menschen meiden und niemals an Verstecke zurückkehren, die Menschen entdeckt haben? Bilder freilebender Tiere gelangen erstmals in den 1950er-Jahren und sind auch heute noch extrem selten. Ein Nachweis der Existenz von Wildkatzen gelingt deshalb nur mit einem Trick, der sogenannten „Lockstock-Methode“: Dabei werden Stöcke mit Baldrian eingerieben und im Waldboden festgepflockt. Baldrian wirkt auf Katzen wie ein Sexualpheromon – sie werden dadurch besonders in der Paarungszeit von Januar bis April angelockt und reiben sich daran. An der angerauten Holzoberfläche bleiben Haare zurück, anhand deren DNA festgestellt werden kann, ob es sich um eine Wild- oder Hauskatze handelt. Auch einzelne Individuen können dadurch zweifelsfrei wiedererkannt werden.
Kleine Wildkätzchen sind sehr neugierig
Zu den natürlichen Feinden gehören Fuchs, Luchs und Wolf. Die größte Gefahr droht jedoch durch die Zerstörung des Lebensraums und die Zerschneidung der Landschaft mit Straßen und Schienen. Man glaubt es kaum, aber eine Gefährdung droht auch durch die Mitnahme von Jungkatzen durch Waldbesucher. Regelmäßig wird bekannt, dass Spaziergänger junge Wildkatzen mit nach Hause genommen haben, weil sie dachten, es handele sich um alleingelassene Hauskatzen. Denn im Gegensatz zu den extrem scheuen adulten Tieren sind die Kleinen sehr neugierig und laufen sogar Waldspaziergängern hinterher.
Das passiert nur in den Monaten März bis August, denn da kommt der Wurf mit zwei bis vier Jungen zur Welt. Fallen sie weder Feind noch Auto oder Spaziergänger zum Opfer, können Wildkatzen in freier Wildbahn bis zu zehn Jahren alt werden.